Dienstag, 24. Mai 2011

Krankheit als Schicksal und Verantwortung?

Giovanni Maio, Freiburg im Breisgau, beschäftigte sich beim Symposium „Lebensstil und persönliche Verantwortung" am 12./13. Mai mit diesem sperrigen Thema.



Krankheit war einmal Schicksal, das man mehr oder weniger heroisch hinzunehmen hatte. Das war zu einer Zeit, als man noch mit einer prinzipiellen Unberechenbarkeit leben konnte. Heute darf Krankheit kein Schicksal mehr sein, sie muss kalkulierbar werden. Im Zeitalter der Naturwissenschaft und Technik muss alles berechenbar gemacht werden. Damit wird alles machbar, vorhersagbar oder auch vermeidbar. Gesundheit wird heute nicht als gegeben, als Datum (Schicksal) gesehen, sondern als Faktum, als gemacht und machbar. Daraus entsteht der Irrglaube, dass alles der eigenen Kontrolle unterliegt.

Allerdings ist Krankheit nicht das lineare und logische Ergebnis von Fehlverhalten, sodass man im Umkehrschluss nur dieses Fehlverhalten vermeiden braucht, um nicht krank zu werden. Krankheit hat vielfältige Wurzeln, „die nicht kausalanalytisch berechenbar gemacht werden können“. Die Ursache von
Krankheit ist nie so ganz klar. Zwar gehört das Vermeiden von gesundheitsschädigendem Verhalten zweifellos zur Pflicht nicht nur gegen die Solidargemeinschaft, die für die Folgen aufkommen muss, sondern vor allem auch gegen sich selbst. Für Miao wäre es aber ein ungeheurer Rückschritt in der Medizin, wenn das Krankwerden heute nur mehr als das Resultat der eigenen Versäumnisse gedeutet würde. Eine derartige  Deutung würde dem kranken Menschen nicht gerecht.

Krankheit ist nicht in den Griff zu bekommen

Heute besteht die Gefahr, dass wir der Illusion verfallen, mit der Technik hätten wir alle Krankheiten im Griff und könnten uns über gesundes Verhalten und Prävention in jedem Fall vor Krankheit schützen. Diejenigen, die krank werden müssten sich dann dem Vorwurf aussetzen, dass sie falsch gelebt hätten und sie daher das Leben mit Krankheit „bestraft“. In einer solchen Einstellung würde sich eine materialistische, naturwissenschaftliche“ Einstellung mit bestimmten esoterischen Ideen treffen, die ebenfalls Krankheiten in enger Weise „deuten“ und damit den Kranken gewissermaßen schuldig machen.

Eine solche Einstellung birgt für Maio die Gefahr der Entsolidarisierung der Gesellschaft. „Eine Bestrafung von Krankgewordenen, und sei dies nur in moralischer Form, würde das Ende einer humanen Medizin einläuten. Die ethische Herausforderung im Präventionszeitalter liegt in der drohenden Gefahr einer neuen Moralisierung von Krankheit.“

Eigenverantwortung darf Solidarität nicht ausschließen

Prävention und positive Anreize für Gesundheit sind sicher wünschenswert. Gesundheit wird aber auch dadurch nicht machbar. Eigenverantwortung für die Gesundheit ist durchaus positiv und notwendig, sie kann Vermeidbares verhindern, aber nicht Krankheit generell. Gesundheit ist trotzdem nicht deterministisch vorhersagbar, nicht machbar und berechenbar. Die Medizin ist, so Maio, „der verzweifelte Versuch, das zu verhindern, was letztlich nicht zu verhindern ist“. Krankheit und Tod sind aus dem Leben nicht zu eliminieren. Die Solidarität muss jedem kranken Menschen gelten, egal aus welchen Gründen er krank geworden ist, eben weil er sich in einer schwachen Position befindet und auf Hilfe angewiesen ist. Zu bedenken wäre auch, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialer Privilegiertheit und Gesundheit gibt. Sozial Benachteiligte sind öfter krank.

Ungesunde Ernährung (Fastfood) und Fettleibigkeit kommen bei sozial Unprivilegierten häufiger vor. Wer hier mit Vorwürfen reagiert, so Maio, der muss auch den Workaholic in den Chefetagen sein Verhalten vorwerfen. Dessen Verhalten steht heute hoch im Kurs, stellt aber ebenfalls eine Gefahr für die Gesundheit dar.

Es wäre wünschenswert, zum alten Denken zurückzukehren und Krankheit wieder als gegeben, als „Schicksal“ anzuerkennen, aber den Rahmen der Eigenverantwortung zu erweitern. Krankheit zwar auch zu bekämpfen, aber mit einer anderen Grundhaltung. Eigenverantwortung ist gut, aber wir sind nicht für alles verantwortlich. Die Verantwortung darf nicht dem Individuum alleine umgehängt werden. Krankheit ist etwas, das jeden Menschen, ganz gleich, wie er gelebt hat, jederzeit treffen kann. Die Gesellschaft darf sich daher nicht entsolidarisieren, sondern muss den Kranken weiterhin jede Unterstützung angedeihen lassen. „Barmherzigkeit ist der Ursprung der Medizin.“

Symposium „Lebensstil und persönliche Verantwortung“, Wien, 12./13. Mai 2011, veranstaltet vom IMABE in Kooperation mit dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer

Dr. Robert Harsieber

Quelle:  www.suite101.de

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